Einer der drei Funde aus der Cheops-Pyramide aufgetaucht von Karin Schlott, Spektrum der Wissenschaft

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Im Jahr 1872 suchte der Ingenieur Waynman Dixon in der Großen Pyramide von Gizeh nach unentdeckten Schächten. Der Schotte wurde fündig. Er holte zwei Objekte und Holzfragmente aus den Öffnungen hervor – die einzigen mobilen Funde, die in der Pyramide je gemacht wurden. Nachdem die beiden Objekte, eine Granitkugel und ein Haken aus Bronze, vor einiger Zeit im British Museum lokalisiert wurden, hat nun eine Mitarbeiterin der University of Aberdeen auch die Holzstücke im Universitätsmuseum aufgespürt. Eine C-14-Datierung bestätigte, dass die Funde aus der Zeit zwischen 3341 und 3094 v. Chr. stammen. Sie datieren damit mehr als 500 Jahre früher als die Regierungszeit von Cheops (zirka 2589–2566 v. Chr.), für den die Große Pyramide von Gizeh errichtet wurde. Bei den Objekten im Universitätsmuseum von Aberdeen handelt es sich laut einer Presseaussendung um wenige Zentimeter kleine Fragmente und Splitter aus Zedernholz. Die Museumsmitarbeiterin Abeer Eladany entdeckte sie in einer alten Zigarrenschachtel in der Asienabteilung des Museums. Dass die Exponate womöglich nicht aus dem asiatischen Teil der Erde stammen, legte die auf der Schachtel abgebildete Flagge nahe: Es ist offenbar ein älteres, neuzeitliches Emblem des ägyptischen Staats. Die Inventarnummer führte Eladany dann auf die Spur. Die Hölzchen hatte 1946 die Tochter von James Grant dem Museum geschenkt. Der Mediziner Grant war mit Waynman Dixon befreundet und hatte mit ihm zusammen die Große Pyramide durchsucht. Womöglich stammen die Holzteile von einem größeren Stück, das Rudolf Gantenbrink 1993 mit seinem Roboter »Upuaut-2« erblickte. Der Ingenieur erforschte im Auftrag der Ägyptischen Altertümerbehörde und des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo Schächte in der Cheops-Pyramide. »Es handelt sich zwar nur um ein kleines Holzfragment, das nun in mehrere Teile zerlegt ist«, fügt Abeer Eladany hinzu. »Aber es ist von enormer Bedeutung, da es eines von nur drei Gegenständen ist, die jemals aus dem Inneren der Großen Pyramide geborgen wurden.« Schon vor einigen Jahrzehnten vermutete die Fachwelt, dass die Holzfragmente in Aberdeen schlummern, doch das Universitätsmuseum konnte die Stücke nicht ausfindig machen. Die Stücke entdeckte Abeer Eladany im Universitätsmuseum von Aberdeen. Sie stammen aus den Schächten der so genannten Königinnenkammer in der Großen Pyramide von Gizeh. Um das Alter der Holzfunde zu eruieren, gab das Museum eine Radiokohlenstoffdatierung in Auftrag. Das Ergebnis überraschte – die Zedernstückchen sind mehrere hundert Jahre älter als die Pyramide. »Das könnte damit zusammenhängen, dass das Datum ja das Alter des Holzes betrifft, womöglich stammte es aus dem Kern eines langlebigen Baums«, sagt Museumsleiter Neil Curtis laut der Presseaussendung der University of Aberdeen. Er könne sich auch vorstellen, dass das Stück lange Zeit aufbewahrt und wiederverwendet wurde, da in Ägypten nur wenige Bäume wachsen und Holz als wertvoll galt. Die drei Funde aus den Schächten könnten als Werkzeuge gedient haben. Oder Modelle von Werkzeugen gewesen sein. Die Granitkugel, vielleicht ein Stößel, und der schwalbenschwanzförmige Haken ähneln nach Ansicht des British Museums Objekten, die auch in so genannten Gründungsdepots von altägyptischen Bauten niederlegt wurden. Fundort der Stücke ist die Königinnenkammer. Sie befindet sich ungefähr auf halber Höhe zwischen dem Eingang in die Cheops-Pyramide und der Grabkammer mit dem Sarkophag. Von der Kammer zweigen zwei Schächte ab. Waynman Dixon hatte die verdeckten Stellen 1872 durch Abklopfen der Wände entdeckt. Anschließend stieß er auf die Objekte, über die damals auch in »Nature« berichtet wurde. Die Königinnenkammer hat trotz des neuzeitlichen Namens vermutlich nicht die Bestattung einer Königin von Cheops enthalten. Für seine Gattinnen waren die kleinen Pyramiden, drei an der Zahl, an der Ostseite der Großen Pyramide vorgesehen. Vermutlich diente die Königinnenkammer als Statuenraum (Serdab). Darin befindet sich jedenfalls eine Nische in der Ostwand. Archäologen vermuten, dass dort ein Bildnis des Königs stand, eine so genannte Ka-Statue. Sie sollte einen Seelenteil des Cheops beherbergen, so die Vorstellung der alten Ägypter.

Neues um die Kaiserin Sissi

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Neueste Forschungen zeigen: Der Mörder von Kaiserin Elisabeth war kein Einzeltäter. Sie wurde das Opfer eines Terrornetzwerks. Von Florian Gasser, aus der ZEIT Nr. 52/2020 Die Tat ist in Sekunden vollbracht. Der Anarchist Luigi Lucheni passt die österreichische Kaiserin Elisabeth, Ehefrau von Kaiser Franz Joseph, am Ufer des Genfers Sees ab. Mit einer Feile sticht er zu, verletzt Lungenflügel und Herzkammer. Sisi, wie sie schon ihre Geschwister nannten, geht kurz zu Boden, klagt über Schmerzen, spürt aber nicht, wie schwer die Verletzungen sind. Sie hastet zum Dampfschiff, das sie nach Caux bringen soll. Erst an Bord bricht sie zusammen, der Dampfer kehrt um. Man bringt sie ins Hotel Beau-Rivage, wo sie wohnte. Dort gibt ihr Herz auf. Um 14.40 Uhr ist die Kaiserin tot. Es ist der 10. September 1898. Luigi Lucheni wird da bereits vom Genfer Untersuchungsrichter Charles Léchet verhört. Der Mörder hatte die Feile in einen Hauseingang geworfen, lief Richtung Bahnhof, wurde aber rasch angehalten und verhaftet. Dem Richter erzählt er, dass eigentlich der französische Thronfolger sein Ziel war. Der Prinz aber hatte seine Reise nach Genf kurzfristig abgesagt. Also suchte sich Lucheni ein neues Opfer. "Prinz, König oder Präsident einer Republik – ganz gleich!", sagt er im Verhörzimmer. Als dort das Telefon klingelt und der Richter vom Tod der Monarchin erfährt, ruft Lucheni: "Es lebe die Anarchie! Es leben die Anarchisten!" Das Attentat auf Kaiserin Elisabeth war der vorläufige Höhepunkt einer Terrorserie. Anarchisten schlugen in der ganzen westlichen Welt zu: von Russland über Italien und Deutschland bis in die Vereinigten Staaten. Ein besonders gefährliches Pflaster war die Schweiz. Elisabeth wusste das. Sie schrieb in einem Gedicht: Schweizer, Ihr Gebirg ist herrlich! / Ihre Uhren gehen gut. / Doch für uns ist sehr gefährlich / Ihre Königsmörderbrut! Trotzdem verzichtete die Kaiserin auf Leibwächter. Auch als sie der Genfer Polizeipräsident warnte: Die Schweiz sei zu einem Zentrum von Anarchisten geworden, ob sich die Kaiserin nicht unter den Schutz der Kantonspolizei stellen wolle? Sie wies das zurück. Fünf Tage später war sie tot. Zwei Monate nach seiner Tat wurde Luigi Lucheni verurteilt. Als Einzeltäter. Der ehemalige Soldat war als Wanderarbeiter von Italien nach Genf gekommen, wollte sich der anarchistischen Szene anschließen, was ihm nicht gelang, also schlug er allein zu – so geht die Erzählung. Die Wiener Historikerin Anna Maria Sigmund hat nun Dokumente ausgewertet, die bislang nicht zugänglich waren. In ihrem heuer erschienen Buch Tatort Genfer See (Molden Verlag), bettet sie Lucheni in ein internationales Terrornetzwerk ein. Auch ihr Dokumentarfilm Sisi und der Anarchist, der auf Netflix zu sehen ist, stützt die These, dass Lucheni Helfer hatte. Möglicherweise sogar einen Auftraggeber. Noch im September 1898 telegrafierte die österreichische Gesandtschaft in Bern nach Wien, dass man in Genf einem Komplott auf der Spur sei, "welches wahrscheinlich in London angezettelt und dann nach Zürich übertragen wurde". Das Attentat sei lange vorbereitet gewesen, "die Action durch den von London hergeschickten Ciancabilla in Fluß gesetzt und die Ausführung dem Lucheni anvertraut worden". Giuseppe Ciancabilla, ein italienischer Journalist, war eine zentrale Figur der Anarchisten. Er galt als aufrührerisch und gefährlich. In seiner in Neuenburg gegründeten Zeitung L’Agitatore feierte er den Mord an Sisi unter dem Titel "Ein Feilenstoß". Der Genfer Richter Léchet besuchte Lucheni nach der Verurteilung immer wieder im Gefängnis. Irgendwann gab dieser zu, dass er Verbündete hatte. Zwei Italiener zum Beispiel hätten am Bahnhof als Fluchthelfer auf ihn gewartet. Namen hat er nie verraten. Léchet gab das an die Presse weiter, doch das Echo verhallte. Kurz darauf starb der Richter, und niemand war mehr an Lucheni interessiert. Aber der anarchistische Terror ging weiter. Anschläge auf den Schah von Persien und den Prinzen von Wales scheiterten. 1900 wurde der italienische König Umberto I. ermordet, ein Jahr später der amerikanische Präsident William McKinley. Erreicht hat die Bewegung am Ende nichts, sie konnte sich nirgendwo festsetzen. Sisi hingegen wurde zum Mythos und Lucheni zum grausigen Schauobjekt. Nach seinem Selbstmord im Jahr 1910 wurde sein Kopf vom Körper abgetrennt. Man wollte sein Gehirn untersuchen. Noch 1984 wurde er im Schweizer Fernsehen gezeigt und später nach Wien in das Pathologisch-anatomische Bundesmuseum überstellt. Erst im Jahr 2000 wurde Sisis Mörder auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.

Schriftrollen neu lesbar machen - moderne Forschung für Pompeji

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Klaus Taschwer, Der Standard, Wien, 4. Oktober 2019 Jene Schriftrollen, die beim Ausbruch des Vesuv zerstört wurden, könnten dank neuer Methoden lesbar werden. Womöglich befinden sich darunter verschollene Klassiker Was mag wohl in dieser antiken Schriftrolle stehen? Sollten die neue „Durchleuchtungsmethode“ Erfolg haben, könnten womöglich sogar verschollene Klassiker der Antike entdeckt werden. Wann genau der Vesuv im Jahr 79 unserer Zeitrechnung ausbrach, ist fast 2000 Jahre später immer noch unklar. Erst vor einem Jahr stieß man bei Ausgrabungen in Pompeji auf ein Graffito, das vermutlich vom 17. Oktober des Jahres 79 stammt. Deshalb nimmt man nun an, dass die verheerende Eruption, die Pompeji, Herculaneum und zwei weitere Städte unter einer bis zu 25 Meter hohen Schicht aus vulkanischer Asche und Bimsstein begrub, am 24. Oktober stattgefunden haben dürfte. Fast 1700 Jahre später begann man dort mit den wissenschaftlichen Ausgrabungen. Und bereits im Jahr 1752 entdeckte man bei Grabungen in Herculaneum eine Sammlung von etwa 1800 Schriftrollen. Fundort dieser bis heute einzigartigen Bibliothek war übrigens eine Villa, die dem Schwiegervater von Julius Cäsar gehört haben dürfte. Diese Schriftrollen, die heute zum Gutteil in der Biblioteca Nazionale di Napoli aufbewahrt werden, bilden die einzige bekannte Textsammlung der Antike, die sich als Ganze erhalten hat – aber eben nur in völlig verkohlter und entsprechend fragiler Form. Entsprechend brachten alle Versuche, die verkohlten Papyri wieder auszurollen, nicht wirklich brauchbare Ergebnisse. Zudem gehen Forscher davon aus, dass die noch sichtbare Schrift durch den Kontakt mit der Luft vollends verschwinden könnte. Doch seit ein paar Jahren gibt es neue Hoffnung. 2016 gelang Forschern um Brent Seales (University of Kentucky) nämlich ein wichtiger Durchbruch: Sie schafften es, eine 1.700 Jahre alte, ebenfalls verbrannte hebräische Schriftrolle mit hochenergetischen Röntgenstrahlen so zu durchleuchten, dass der verborgene Text tatsächlich lesbar wurde. Wie sich herausstellte, handelte es sich um einen Text aus dem biblischen Buch Levitikus. Das neue Forschungsunterfangen, das der international führende „digitale Restaurator“ alter Texte nun mit zwei Schriftrollen aus Herculaneum begonnen hat, ist freilich ungleich herausfordernder und, wenn das Wortspiel erlaubt ist: eine wahre Herkulesaufgabe. Während die Tinte der hebräischen Schriftrolle feinste Metallpartikel enthielt und deshalb bei Röntgenbestrahlung relativ gut sichtbar wurde, hat man für die Schriftrollen aus Herculaneum Tinte auf Kohlenstoffbasis mit ganz wenig Blei verwendet – jedenfalls bei jenen Schriftrollen, die nun analysiert werden. Das mache es unmöglich, den Inhalt der Schriftrollen mit "normalen" Röntgenstrahlen sichtbar zu machen, so Seales. Er setzte deshalb auf besonders energiereiche Röntgenstrahlen der britischen Synchrotronstrahlungsquelle Diamond Light Force, wo in den letzten Wochen zahllose Scans der beiden antiken Schriftrollen gemacht wurden, die dem Collège de France gehören. Für die Analyse dieser Scans wird dann maschinelles Lernen eingesetzt. Das ist eine Methode aus der KI-Forschung, bei der Software "trainiert" wird, um sich selbstlernend zu verbessern. Konkret soll der Algorithmus mittels vier Fragmenten, die ebenfalls durchleuchtet wurden, minimalste Unterschiede zwischen beschriebenen und unbeschriebenen Bereichen erkennen lernen. Ob das auch tatsächlich gelingen wird, ist noch offen und wird sich wohl erst in den nächsten Monaten zeigen. Dann aber könnte die Methode für alle weiteren rund 1.000 Schriftrollen verwendet werden, die noch nicht völlig zerstört sind. Die wenigen identifizierten Schriftrollen waren übrigens auf Griechisch verfasst, was für die restlichen Papyri nicht gelten muss, wie der Papyrologe und Gräzist Dirk Obbink von der Uni Oxford erklärt, der beim Training der Algorithmen half Er ist besonders neugierig, was sich in den Rollen verbirgt und verweist unter anderem darauf, dass erst im Vorjahr ein neues historisches Werk von Seneca dem Älteren unter den Papyri aus Herculaneum entdeckt wurde. Obbink hofft, dass die noch unentzifferten Schriftrollen womöglich sogar verschollene Werke der Antike wie die Gedichte Sapphos oder die Abhandlung von Marcus Antonius über seine eigene Trunkenheit enthalten könnten. Letztere würde er besonders gerne lesen

Die Hoffnung auf das Unlesbare

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Hunderte verkohlter Papyrusrollen aus Herculaneum warten darauf, gelesen zu werden. Noch nie waren die Aussichten so gut wie jetzt. Lüftet neue Technik das Geheimnis ihres Inhalts? Auf dem Weg durch den alten Palast der Könige von Neapel, der heutigen Biblioteca Nazionale di Napoli, durchquert man verwunschene Hallen und Säle voller Globen und Atlanten. In den Räumen der Officina dei Papiri schließlich stehen dunkle Holzregale, Philosophenbüsten und graugrüne Metallschränke, in denen man die Elektroinstallation vermuten könnte. Doch das Äußere der Kästen täuscht. Hier werden gut 1800 stark verkohlte Papyrusrollen und Fragmente aufbewahrt. Es sind die Überreste von rund 800 Büchern aus der nahe gelegenen antiken Stadt Herculaneum. Auf manchen sind mit bloßem Auge Buchstaben erkennbar, einige konnten den Werken antiker Philosophen zugeordnet werden. Andere sind bis heute ein Rätsel. Knapp 300 Papyrusrollen wurden nie geöffnet. Niemand weiß, welche Texte sich darin verbergen. Und niemand weiß, wie man die Schriftstücke entrollen könnte, ohne sie in ein Häufchen verkohlter Bruchstücke zu verwandeln. Seitdem die Rollen vor gut 250 Jahren geborgen wurden, zerbrechen sich die Experten den Kopf über die richtige Technik. Nun jedoch zeichnen sich erstmals Wege ab, die einzige erhaltene Bibliothek des Altertums zu erschließen. Die Villa dei Papiri, die Villa der Papyrusrollen, war eine palastartige Anlage am Strand der Bucht von Neapel, am nordwestlichen Ende des Hafenorts Herculaneum. Im Herbst des Jahres 79 wurde sie, wie auch Herculaneum und Pompeji, bei einer Eruption des Vesuvs verschüttet. Die Villa lag jedoch unmittelbar am Fuß des Vulkans: Während Pompeji unter einem Regen von leichtem Tuffstein langsam begraben wurde, trafen Herculaneum und die Villa erst eine Serie pyroklastischer Ströme mit bis zu 370 Grad Celsius heißem Material, anschließend heiße Schlammlawinen, so genannte Lahare. Der Schlamm verfestigte sich zu einer 30 Meter mächtigen Gesteinsschicht. Die darin gefangenen Städte gerieten in Vergessenheit. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts kamen erste Funde ans Tageslicht. Im Jahr 1750 stießen Arbeiter beim Bau eines Brunnenschachts auf einen Mosaikboden der Villa. In den folgenden Jahren trieben Arbeiter und Strafgefangene Tunnel durch die verfüllten Gänge und Räume, manchmal auch durch Wände. Das Kommando über die Arbeiten führte Rocque Joaquin de Alcubierre, ein spanischer Militäringenieur, der im Auftrag Königs Karl VII. handelte. Auf der Suche nach Kunstschätzen und Statuen für die königliche Sammlung nahm Alcubierre keine Rücksicht auf das augenscheinlich wertlose Zeug, das seine Männer an fünf verschiedenen Stellen zu Tage förderten: schwarze, verbeulte Zylinder ohne erkennbare Funktion. Anfangs soll man sie für Holzkohle gehalten haben, einige wurden wohl tatsächlich verheizt. Die Funde wurden kaum dokumentiert. Wo welcher Zylinder lag, verraten die Aufzeichnungen nicht. Spätere Generationen von Archäologen waren und sind auf Alcubierre nicht gut zu sprechen. Nach den ersten Entdeckungen dauerte es zwei Jahre, bis den Ausgräbern dämmerte, was sie da vor sich hatten. Wie viele Bücher bis dahin entsorgt wurden, wird man wohl nie erfahren. Mit den nun folgenden Versuchen, die Rollen zu öffnen, begann das nächste Kapitel dieser langen, unrühmlichen Geschichte. Als Erster bemühte sich der Illustrator und spätere Kurator des Museo Herculanense, Camillo Paderni, einige Rollen der Länge nach in Hälften zu schlagen. Dabei zerstörte er vor allem das Zentrum der Rolle, jenen Teil, der meist am besten erhalten geblieben war. Spätere Verfahren führten die Schnitte nicht bis zum Zentrum, doch auch sie zerstörten mehr, als sie erschlossen. Hunderte von Rollen wurden so zu einer Sammlung von Puzzleteilen, von denen das meiste heute in der Officina dei Papiri lagert. Ihr Verfall schreitet erkennbar voran. In manchen Sammlungskästen hängen feinste Flitter losen Kohlenstoffs wie Insektenflügel an ihrem Träger aus Pappe. In anderen erkennt man die Konturen früherer Fragmente im alten Klebstoff, daneben feine Papyrussplitter. Im Lesesaal der Officina dei Papiri sitzen Papyrologen über Stereomikroskopen und schauen auf entrollte Fragmente. Ein Blick durch das Mikroskop zeigt, dass viele der Fragmente aus mehreren miteinander verbackenen Schichten bestehen, manche in katastrophal schlechtem Zustand. »Man muss es schräg gegen das Licht halten«, sagt Daniel Delattre, ein emeritierter Forscher des Institut de recherche et d'histoire des textes in Paris, der hochangesehene Rekonstruktionen veröffentlicht hat. In der Officina arbeitet er an einem vergleichsweise lesbaren Exemplar. »Wenn man es dann etwas bewegt, erkennt man das Relief.« Tatsächlich wirkt die Tinte unter dem Mikroskop plastisch, als könnte man sie ertasten. Bisher haben Papyrologen aus den Fragmenten meist nur einzelne Buchstaben und Teilsätze rekonstruiert. Durchgängiger Text ist selten. Trotzdem konnte der größte Teil des Bestands einem einzigen griechischen Autor zugeordnet werden, Philodemos von Gadara. Philodemos schrieb vor allem zur Lehre Epikurs. Die Epikureer fanden Seelenruhe in der Vorstellung, dass Götter zwar existieren mögen, sich mit den Menschen aber nicht befassen. Die Statue eines ruhenden Merkurs, die in der Villa gefunden wurde, macht deutlich: Für den Götterboten gibt es nichts zu tun. Die epikureische Philosophie umfasst auch den Atomismus Demokrits, für sie existiert in der Welt nur die Bewegung der kleinsten unsichtbaren Elementarteilchen im Raum, ihre Gruppierungen und Zusammenstöße. Das All ist unendlich und kommt ohne jede Metaphysik aus, weshalb es auch keinen Anlass gibt, sich vor dem Tod zu fürchten, »der uns nicht betrifft«. Die epikureische und atomistische Überlieferung ist weitgehend verloren gegangen, wie fast die gesamte Literatur der antiken Welt. Die Zahlen gehen auseinander, manche Autoren nehmen an, dass nur 0,1 Prozent des vorchristlichen Bücherbestands erhalten geblieben ist. Jene 300 Papyrusrollen zu erschließen, die unzugänglich, aber vollständig geblieben sind, wäre da von unschätzbarer Bedeutung. Es sind aber gerade die am stärksten verkohlten Exemplare, die dem Messer Padernis entkamen. Spröde, pechschwarz und verformt, als würde ein Elefant den Rüssel rümpfen, bieten sie einen Anblick, der jeden Zugang zum Text hoffnungslos erscheinen lässt. Doch in den vergangenen Jahren wurden mehrere Methoden vorgeschlagen, mit denen man vielleicht doch noch in die verkohlten Rollen blicken könnte – und damit in die verschollene Geisteswelt der Antike. Im Jahr 2015 veröffentlichte eine Gruppe um Delattre und den Physiker Vito Mocella vom Istituto per la microelettronica e microsistemi (IMM) in Neapel ein Verfahren, das schnell als Durchbruch gefeiert wurde. Es beruht auf Röntgenstrahlung und macht sich jenes feine Relief zu Nutze, das die Tinte auf Papyrus hinterlässt. Damit hoffen die Forscher ein Problem zu überwinden, an dem alle bisherigen Versuche mit Röntgenstrahlen gescheitert waren: die Allgegenwart von Kohle. Antike Autoren nutzten eine Tinte, die im Wesentlichen aus Ruß oder Holzkohle und einem Bindemittel bestand. Selbst mit dem besten Röntgengerät war es den Wissenschaftlern nicht gelungen, zwischen der Kohle in der Tinte und der des verkohlten Papyrus zu unterscheiden. Allerdings hatten sie dazu lediglich den so genannten Absorptionskontrast betrachtet, jenes Phänomen, mit dem beispielsweise auch die Medizin ihre Bilder produziert. Delattre und Mocella verfolgten nun eine andere Idee: Vielleicht ließe sich der kleine Hügel aus Tintenpigmenten mit Hilfe der Phasenverschiebung des Röntgenlichts erkennen. Dieser Phasenkontrast entsteht, wenn Röntgenstrahlen auf dem Weg durch verschiedene Materialien auf unterschiedliche Weise gebrochen werden. Der entscheidende Vorteil der Röntgen-Phasenkontrasttomografie ist die Fähigkeit, selbst sehr geringen Kontrast noch abzubilden. Ihr Nachteil ist, dass sie nach einem Teilchenbeschleuniger als Strahlenquelle verlangt. Um die Phasenverschiebung zuordnen zu können, nutzt man Röntgenlicht mit dem Charakter eines Laserstrahls. Einen solchen haarfeinen, kohärenten Strahl mit eng definiertem, »monochromatischen« Energieniveau erzeugten die Forscher in einem ringförmigen Beschleuniger, einem Synchrotron, und tasteten eine der Rollen aus Herculaneum Zeile für Zeile ab. Das Verfahren lieferte brillante Bilder aus dem zerknautschten Inneren der Rolle. Die deutlichste Struktur im Papyrus jedoch waren Gitter aus Pflanzenfasern; beim Herstellungsprozess wird das Mark der Stängel in Streifen geschnitten, kreuzweise übereinandergelegt und gepresst. Allerdings berichten Delattre und Mocalla in ihrem Artikel im Fachmagazin »Nature Communications« auch von einer Reihe Buchstaben, die sie erkannt haben wollen – einzelne, sehr unscharfe Strukturen. Ob es sich wirklich um Schriftzeichen handelt, oder ob die Forscher in der Gitterstruktur des Papyrus lediglich das fanden, was sie finden wollten, darüber wird in der kleinen Gemeinde der Schriftrollenexperten seither teils heftig gestritten. Schon im folgenden Jahr versprach eine Studie, an der wieder Mocella und Delattre beteiligt waren, einen Weg, die Tomografie erheblich zu verbessern. Bei einer Röntgenfloureszenzanalyse werden Atome mit dem intensiven Röntgenlicht des Synchrotrons dazu angeregt, in der jeweils für sie charakteristischen Wellenlänge nachzuleuchten. Mit dieser Methode konnten die Autoren am ESRF-Elektronenspeicherring in Grenoble nachweisen, dass die Tinte auf zwei winzigen Papyrusfragmenten, die am Institut de France in Paris aufbewahrt werden, Blei enthält. Warum es sich dort findet, ist ungeklärt. Es könnte aber von großem Vorteil für die Entschlüsselung sein. Ab einer hinreichend hohen Konzentration ist Blei eine sehr gute Quelle für verschiedene Formen von Röntgenkontrast. Grenzt man den Strahl eines Synchrotrons auf die Wellenlänge ein, die das Schwermetall bevorzugt absorbiert, wird eine Darstellung von dessen Verteilung möglich, und damit indirekt auch von der Tinte. Ob und wenn ja, wie viel Blei in den 300 noch verschlossenen Rollen zu erwarten ist, weiß derzeit niemand. Hannes Hoffmann, Spektrum.de

Über das importierte Bauholz , woher kommt es?

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Das antike Rom importierte Bauholz zum Teil aus Gallien. Immer noch streiten Archäologen darüber, ob das nötig war Einfaches Bauholz 1700 Kilometer nach Rom zu transportieren, deutet nicht nur auf ein hochorganisiertes Handelssystem hin, sondern auch auf einen Mangel an geeignetem Holz in der Umgebung der Stadt. «Holz aus heimischen Wäldern» – was dieser Werbespruch zur Zeit der Römer bedeutet haben könnte, zeigt eine kürzlich in der Fachzeitschrift «Plos One» veröffentlichte Studie: In Rom haben Archäologen Eichenbalken ausgegraben, die im ersten Jahrhundert nach Christus im Fundament eines Gebäudes verbaut worden waren. Die 24 gut erhaltenen Eichenbalken im Unterbau einer reich verzierten Portikus, einer überdachten Säulenhalle, kamen beim Bau der Metro ans Licht. Das Gebäude gehörte zu einem riesigen und reichen Anwesen. Erhalten ist das Holz, weil es offenbar über Jahrhunderte unter Sauerstoffausschluss mit Wasser vollgesogen war. Einige der Holzplanken in der Portikus, in der sie gefunden wurden. Bernabei at al., 2019 Die bis zu 3,6 Meter langen Balken weisen Axtspuren, aber sonst keine Zeichen von Bearbeitung auf. Die Archäologen schliessen daraus, dass das Holz wohl eigens für diesen Bau zugerichtet worden war. Die Baumart liess sich nicht genau bestimmen, es könnte sich um eine Weisseichen-Art (zu dieser Sektion gehört etwa die Deutsche Eiche) oder Zerreichen-Art (dazu gehört zum Beispiel die Korkeiche) handeln. Gefällt wurden sie laut der Datierung der Jahresringe zwischen 40 und 60 nach Christus. Weil Wetter und Klima regional unterschiedlich sind, wachsen Bäume aber nicht überall gleich stark. Für die Datierung braucht man deshalb regionale Reihen; es bringt nichts, ein Stück Holz aus der Schweiz mit den Jahresringen in Griechenland zu vergleichen. Die Jahresringe verraten deshalb ausser dem Jahr, in dem der Baum gefällt wurde, auch, wo die Bäume wuchsen. Die Autoren verglichen das römische Holz mit Jahresring-Chronologien aus Ostfrankreich. Ihr Ergebnis: Die grösste Korrelation besteht mit Holz aus Moissey im Département Jura, etwa 60 Kilometer nordöstlich von Chalon-sur-Saône, dem römischen Cabillonum. Sie schliessen daraus, dass die Eichen aus dieser Gegend kommen, die zudem nahe an den wichtigen und weitgehend schiffbaren Handelsrouten Galliens liegt. Das bereits zugerichtete Holz sei wahrscheinlich über die Flüsse Saône und Rhone über Lyon (Lugdunum) und dann über das Mittelmeer nach Rom transportiert worden. Der Transport auf dem Wasser ist plausibel; er war immer die günstigere Alternative zum Landweg, und Funde etwa aus Mainz und Strassburg zeigen, dass in römischer Zeit Holz zu Flössen verbunden wurde. Robyn Veal, die an der Universität Cambridge die römische Holzwirtschaft erforscht, zweifelt jedoch an den Ergebnissen: «Die Korrelation ist gut, und es ist ein interessanter Vorschlag, dass das Holz aus Gallien kommt. Aber es könnte auch aus Norditalien stammen. Da braucht es noch viel mehr Forschung», sagt sie. Ulf Büntgen, an der Studie beteiligter Professor für Umweltsystemanalyse in Cambridge, widerspricht: «Der Referenzpunkt aus dem Jura ist der mit der höchsten Wahrscheinlichkeit. Natürlich gibt es eine statistische Unsicherheit, und das Holz könnte auch aus Baselland kommen. Aber es ist ausgeschlossen, dass es von südlich der Alpen stammt.» Dass Holz über 1700 Kilometer nach Rom gebracht wurde, begründen Büntgen und seine Kollegen damit, dass der Wald in der Umgebung der Stadt und grossen Teilen des Apennins zu jener Zeit bereits abgeholzt gewesen sei. Mit der Ausbreitung des Reiches habe sich diese Ausbeutung in immer neue Gebiete ausgedehnt. Diese Aussage rührt an eine seit Jahrzehnten andauernde Diskussion unter Archäologen: Welchen Anteil hatte die klassische Antike, also Griechen und Römer, an dem heutigen teilweise sehr baumarmen Erscheinungsbild des Mittelmeerraums? Die eine Fraktion geht davon aus, dass einst überall Wald war, dieser für Bau- und Feuerholz gerodet wurde und in der Folge der Boden erodierte und keine neuen Bäume nachwachsen konnten. Die andere verweist darauf, dass pauschale Aussagen nicht möglich seien; jede Region müsse für sich geologisch untersucht werden. Feuerholz könne durch Niederwaldwirtschaft und Schneiteln, also regelmässiges Beschneiden der Triebe von Laubbäumen, auch nachhaltig gewonnen werden – und Bäume wüchsen nach. Robyn Veal, die Holzkohle aus Fundstellen in Rom untersucht, gehört zu letzterer: «Holz gab es in Italien reichlich. Die lokalen Ressourcen auch an Eichen waren nicht aufgebraucht, das zeigen Holzkohlefunde und Pollenanalysen. Die Wälder waren in der Regel wirtschaftlich gut verwaltet, wie die meisten Dinge bei den Römern.» Allerdings lassen Reste von Eichen in Holzkohle- oder Pollenproben keine Schlüsse darüber zu, ob es sich um grosse Bäume oder etwa durch Tierverbiss niedrig gehaltene Büsche handelte. Büntgen argumentiert: «Wenn es in der Umgebung Holz in der gleichen Qualität gegeben hätte, hätte man das nicht von so weit her herangeschafft. Transport ist aufwendig und teuer. Das macht man nicht, wenn man nicht muss.» Aus der Neuen Züricher Zeitung

Sonderausstellung in Herne

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„Väter und Mütter vermieden es, ihre Kinder zu pflegen“ Ihre drei Pandemien haben bis heute etwa 100 Millionen Opfer gefordert. Die Pest-Seuche, die 1347 in Europa ausbrach, ließ Familienbande zerbrechen und zerstörte das Rittertum. Bis heute ist unklar, warum sie verschwand. Die Beulen- oder Lungenpest des Mittelalters gilt als größte demografische Katastrophe Europas in historischer Zeit. Etwa ein Drittel der Bevölkerung fiel der Pandemie bis in die Neuzeit hinein zum Opfer. Am 25. Mai 1720 lief die „Le Grand Saint-Antoine“ in den Hafen von Marseille ein. Das Schiff hatte wertvolle Waren aus der Levante geladen, die seine Eigentümer umgehend verkaufen wollten. Aus diesem Grund ließen sie ihre Beziehungen zu den Behörden spielen, um die Warnungen des Kapitäns abzutun. Der hatte nämlich unterwegs sieben Matrosen verloren, ein weiterer starb im Hospital und bald nach ihm der Beamte, der das Schiff für unverdächtig erklärt und damit der Quarantäne enthoben hatte. Wenige Tage später begann das große Sterben, dem wohl 100.000 Menschen zum Opfer fielen. Zum letzten Mal erhob die Pest in Lateineuropa ihr entsetzliches Haupt. Der drei Meter lange und eine Tonne schwere Anker der „Le Grand Saint-Antoine“ ist wahrlich ein passender Wegweiser für die Ausstellung, die derzeit im Museum für Archäologie des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) in Herne zu sehen ist: Unter dem Titel „Pest“ eröffnet sich ein Panorama einer geradezu apokalyptischen Bedrohung, die in den vergangenen 1500 Jahren die Bevölkerung Europas wiederholt um ein Drittel bis die Hälfte dahingerafft hat. Die Pest hat sich als Ur-Trauma in die Erinnerungskultur eingeprägt, obwohl andere Pandemien sie längst an Vernichtungspotenzial übertroffen haben. Die letzte große Pestpandemie traf 1720 Marseille. Dann verschwand die Seuche aus Europa Die Herner Ausstellung will nicht weniger als die ganze Medizin- und Kulturgeschichte der Seuche ausbreiten. Daher beginnt sie zu einer Zeit, als die Menschen die tödlichen Folgen des Bakteriums Yersinia pestis noch gar nicht von anderen Seuchen unterscheiden konnten. Neue Genanalysen konnten nachweisen, dass bereits vor 4900 Jahren in Schweden Angehörige der Trichterbecherkultur von der Pest hinweggerafft wurden. Die berühmteste „Pest“-Epidemie des Altertums allerdings, die der Grieche Thukydides um 430 v. Chr. in Athen beschreibt, wurde dagegen von einem Erreger provoziert, über dessen Identität weiterhin spekuliert werden kann. „Die Autorität des berühmten Historikers hat allerdings dafür gesorgt, dass sich zeitgenössische Berichte über spätere Pestwellen diese eindrucksvolle Schilderung zum Vorbild genommen haben“, erklärt der Historiker Alexander Berner vom LWL-Museum. Welthistorisch lassen sich drei große Pandemien unterscheiden, die unzweifelhaft von Yersinia pestis hervorgerufen wurden. Im 6. Jahrhundert n. Chr. raffte die nach dem regierenden Kaiser Justinian benannte Pest etwa die Hälfte der Einwohner Ostroms und weiter Teile Europas und Asiens dahin. Von 1347 bis 1722 überfiel sie – zunächst „Schwarzer Tod“ genannt – in unregelmäßigen Wellen alle Teile Europas. Und ab 1890 lieferte sie sich in Ost- und Südostasien mit der modernen Medizin einen tödlichen Wettlauf, bis dem Franzosen Alexandre Yersin 1894 die Isolierung des Erregers gelang. Obwohl die Pest im 8. und 18. Jahrhundert aus Europa wieder verschwand, war sie nie erloschen. In Zentralasien und Indien, heute auch auf Madagaskar, in Teilen Afrikas und sogar in den USA, ist sie endemisch, werden von dort regelmäßig Erkrankungen und sogar Todesfälle gemeldet. Allerdings kann die Seuche mit Antibiotika bekämpft werden. An ihrem Aufbäumen in historischer Zeit hat auch der Mensch seinen Anteil. Denn im Grunde wird die Pest erst als Kulturfolger zum Massenmörder. Als Wirtstiere bevorzugt Yersinia pestis Nagetiere, vornehmlich Ratten, kann aber auch andere Warmblüter befallen. Gehen diese ein, übertragen dessen Flöhe das Bakterium gern auf den menschlichen Nachbarn, dessen Floh ebenfalls als williger Bahnbrecher der Seuche dienen kann. Nach einigen Tage künden zunächst Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen von der Infektion, dann bilden sich Beulen an den Lymphknoten. Diese Beulenpest ist die häufigste Erscheinungsform der Seuche. Brechen die Knoten im Körper auf, gelangt der Erreger direkt in die Blutbahn und erzeugt eine tödliche Sepsis. Besiedelt er die Lunge, verursacht er die Lungenpest. Diese breitet sich durch Tröpfcheninfektion aus und führte stets zum Tode, während an der Beulenpest Erkrankte zumindest eine geringe Überlebenschance hatten. Möglicherweise waren es Züge von Heeren, Nomaden und Händlern, die nach der Errichtung des Mongolischen Weltreichs im 13. Jahrhundert Yersinia pestis wieder aus Zentralasien nach Westen trug. Bei der Belagerung des genuesischen Handelspostens Kaffa auf der Krim sollen Tataren die Leichen von Pesttoten mit Katapulten über die Mauern geschleudert haben. Die Italiener wandten sich daraufhin zur Flucht und trugen die Krankheit in den Westen. Zwar versperrte Genua, durch Nachrichten von merkwürdigen Todesopfern gewarnt, seinen Hafen. Aber in Marseille gelangten die Flüchtlinge an Land. Von dort begann der Schwarze Tod seinen unaufhaltsamen Siegeszug. Die Beschreibung der Folgen hat der italienische Dichter Giovanni Boccaccio (1313-1375) in die Weltliteratur eingeschrieben: „Die Pest ließ die Herzen der Menschen erstarren. Der Bruder verließ den Bruder, der Oheim seinen Neffen, die Schwester den Bruder und häufig auch die Frau ihren Gatten. Ja, was fast unglaublich ist: Väter und Mütter vermieden es, ihre Kinder zu pflegen, als ob sie Fremde wären.“

New York der Frühbronzezeit"

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Spiegel online vom 7. Oktober 2019 Antike Metropole in Israel entdeckt Eine Großstadt wie vom Reißbrett: Archäologen haben in Nordisrael die Überreste einer beeindruckenden Metropole freigelegt, die vor rund 5000 Jahren entstanden sein soll. Bei Notgrabungen vor Straßenarbeiten haben Forscher in Nordisrael die Überreste einer imposanten altertümlichen Metropole freigelegt. Die Ausgrabungsstätte En Esur nahe dem heutigen Harish im Bezirk Haifa sei rund 5000 Jahre alt und die "größte und zentralste", die jeweils im Gebiet des Nahoststaats entdeckt worden sei, erklärte die Israelische Altertumsbehörde am Sonntag. "Dies ist das New York der Frühbronzezeit in unserer Region", schwärmten die Ausgrabungsleiter in einer Mitteilung. Kosmopolitisch und planvoll angelegt sei die Stadt gewesen, die nach deren Schätzungen rund 6.000 Einwohner hatte. Die Arbeiten an der Ausgrabungsstätte En Esur legten demnach eine befestigte Stadtmauer, Wohngebiete, öffentliche Plätze sowie Straßen und Gassen frei. Luftbilder, die von Drohnen gemacht wurden, zeigen die erstaunlichen Dimensionen der Anlage. Nach Angaben der Archäologen Itai Elad und Dina Schalem erstreckte sich En Esur über eine Fläche von 0,65 Quadratkilometern und war damit doppelt so groß wie alle anderen bisher bekannten antiken Stätten in der Region. Die Forscher entdeckten Teile eines zwei Meter hohen Befestigungswalls, einen Friedhof sowie einen Tempel mit Tier- und Menschenfiguren - sowie zwei massive Steinbecken, die vermutlich für religiöse Rituale genutzt wurden. Wie die israelische Tageszeitung "Haaretz" schreibt, müssen die ausgehöhlten Steine an die zehn bis fünfzehn Tonnen gewogen haben - und über große Entfernung transportiert worden sein. Stein dieser Art sei in unmittelbarer Nähe nicht zu finden gewesen. In einem der Becken gefundene tierische und menschliche Knochenüberreste böten Rückschlüsse auf die kulturellen Gepflogenheiten der Einwohner - es seien offenbar Opferungen durchgeführt worden. Zusätzlich stießen die Archäologen auf die Spuren einer mutmaßlich noch 2000 Jahre älteren Siedlung aus der Kupferzeit - direkt unter den Häuserresten der Bronzezeit-Metropole. Bislang wurden in En Esur insgesamt rund vier Millionen Fragmente freigelegt, darunter Keramikscherben, Steinwerkzeuge und Vasen aus Stein und Basalt. Einige der Werkzeuge stammten laut den Forschern aus Ägypten. Die Grabungen dauerten zweieinhalb Jahre und wurden mit Unterstützung von rund 5000 Freiwilligen durchgeführt. Als Bronzezeit wird die Periode in der Menschheitsgeschichte bezeichnet, in der Waffen und Werkzeuge vor allem aus Bronze - einer Legierung aus Kupfer und Zinn - hergestellt waren. In Mitteleuropa umfasste diese Ära den Zeitraum von etwa 2200 bis 800 v.Chr. Die Frühbronzezeit begann noch einmal tausend Jahre früher.

Einzigartige Mordlust im antiken Rom

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Einzigartige Mordlust im antiken Rom Römische Kaiser haben nur selten die Herrschaft an ihre Kinder weitergegeben, meist sind sie durch Mord umgekommen. Dieser gewaltvolle Machtwechsel anstelle von stabilen Dynastien ist im historischen Langzeitvergleich ungewöhnlich. Auf Facebook teilen Auf Twitter teilen Die Szene ist weltbekannt: Julius Cäsar ist von Mördern umzingelt, überrascht bemerkt er, wie auch sein Ziehsohn Brutus den Dolch zückt. Wenn Cäsar wahrlich schockiert war, dann vielleicht auch, weil er erst am Anfang einer kommenden Tradition von Kaisermorden in Rom stand. Die Ermordung Gaius Julius Caesars: Schabblatt von Georg Vincenz Kininger 1829 nach Gemälde von Heinrich Friedrich Füger.ÖNB Die Ermordung Caesars: Schabblatt von Georg Vincenz Kininger 1829 nach Gemälde von Heinrich Friedrich Füger In Resteuropa, Asien und Amerika etablierten sich viele, über Jahrhunderte stabile Herrscherclans, seien das die Habsburger oder die Ming-Dynastie. In den römischen Territorien blieb hingegen ein durchschnittlicher Kaiser nur etwa sieben Jahre lang an der Macht, speziell bis zur Spaltung in ein ost- und weströmisches Reich im 5. Jahrhundert. Aber auch danach noch sollte gut tausend Jahre lang das Morden weitergehen: Rund zwei Drittel der römischen Kaiser seien bis 1453 in West- und Ostrom/Byzanz aktiv beseitigt worden, sagt der Historiker Walter Scheidel. Daten zu 1.600 Herrschern in 30 Regionen der Welt hat Scheidel gesammelt – im Vergleich zeige sich, dass Rom in seiner Blutrünstigkeit eher alleine dasteht. Kinder, Morde und Dynastien Es habe drei populäre Modelle der monarchischen Herrschaft gegeben: In Europa hätten Herrscher oft monogam gelebt, mit ausreichend, aber nicht allzu viel nachfolgeberechtigtem Nachwuchs. Sie regierten meistens relativ lang und starben auch eher eines natürlichen Todes. Der Historiker Walter ScheidelAPA - Herbert Neubauer Walter Scheidel ist Professor für Altertumsgeschichte an der Universität Stanford. Mit seiner vergleichenden historischen Studie zu verminderter Ungleichheit nach Kriegen und Seuchen hat er international viel Aufmerksamkeit erregt. Vor Kurzem war er zu einem Vortrag an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Ö1-Sendungshinweis Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 28.11., 13:55 Uhr. In Asien und auch präkolumbianischen Hochkulturen in Amerika hat es laut Scheidel zwar häufiger Gewalt gegen die Herrscher gegeben, aber auch akzeptierte Polygamie mit vielen Nachkommen, sodass Familien mit Herrschaftsanspruch schwieriger auszurotten gewesen wären. Im römischen Reich hingegen habe es die sonderbare Kombination von monogamen Herrschern und gewaltvollen Widersachern gegeben – Dynastien hielten nie lange, nur selten konnte ein Kaiser das Amt an die eigene Familie weitergeben. Entscheidend war in Rom eher, wer die Unterstützung des Militärs für sich gewinnen konnte. Erfolgreich oder todgeweiht Trotz allem blieb aber die Idee des Kaisertums als Herrschaftsform sehr stabil, die römische Machtausdehnung litt jedenfalls nicht direkt unter dem häufigen Herrscherwechsel. Vielleicht sogar im Gegenteil: Scheidel vergleicht das Kaiseramt mit einem CEO-Posten in einem großen Konzern. Wer entsprechend stark und erfolgreich auftrat, konnte im „Unternehmen Rom“ militärische Macht gewinnen und den alten Kaiser straflos beseitigen: „Es gibt eine starke Betonung der Leistung, im Gegensatz zu anderen Monarchien, wie zum Beispiel in China. Dort hat es ausgereicht, aus der richtigen Familie zu kommen“, sagt der Altertumsforscher. Während römische Kaiser in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten oft dem Landadel entstammten, konnten sie sich später beispielsweise durch eine Militärkarriere hocharbeiten. Sie wurden kaum als überhöhte Wesen verehrt und waren nicht hauptsächlich für rituelle Repräsentationszwecke da. Und nur wenn ein römischer Kaiser mit Erfolg prahlen konnte, war er einigermaßen sicher. Liefen die Staatsgeschäfte nicht so gut, dann bekam er das bald genug zu spüren – das befand auch eine 2018 erschienene Studie, die eine Korrelation zwischen Dürreperioden und Kaisermorden im Römischen Reich aufzeigt. Antikrömische Folklore im heutigen RomAP Antikrömische Folklore im heutigen Rom Warum die Altertumsforschung die römische Mordlust lange nicht als außergewöhnlich betrachtet hat? „Ich glaube, wir können eine bestimmte Kultur nur dann wirklich verstehen, wenn wir uns alle anderen Kulturen gleichzeitig ansehen. Das ist der Kontext, den wir brauchen, um zu unterscheiden, ob etwas normal, üblich, ungewöhnlich oder einzigartig ist“, antwortet Scheidel. Erst der Blick über den Tellerrand zeige, welche Details manche Kulturen langfristig prägen. Man müsse einzelne Fragestellungen herauspicken und mit vergleichbaren Daten untersuchen, statt einen großen Überblicksvergleich anzustellen. Das will Walter Scheidel auch bei der Suche nach möglichen Gründen für das andauernde Kaisermorden so halten und weitere Variablen feststellen. Denn noch lässt sich nicht leicht sagen, wieso das Römische Reich mit häufigem Mord und ohne langlebige Dynastien als historischer Ausreißer bestand - oder was das über die römische Gesellschaft und Kultur insgesamt aussagt. Konsequenzen nur bei Misslingen Dass Mord an sich akzeptiert gewesen wäre, ist jedenfalls nicht der Grund: Im späteren Rom war selbst Mord an Sklaven verboten und stand unter Strafe. Der Kaisermord passierte hingegen mehr oder weniger offen und unverhohlen. Je öfter, desto normaler schien es wohl, meint Scheidel - Konsequenzen musste man nur fürchten, wenn der Anschlag misslang. Vielleicht geht es am Ende ja um das kulturelle Verständnis von Macht: Das Römische Kaiserreich wurzelte in einer Republik, die viel damit beschäftigt war, die Macht von Politikern zu beschränken. Möglicherweise war es ja tiefrömische Philosophie, Macht als Risiko zu sehen. Jedenfalls haben die vielen Kaisermorde dafür gesorgt, dass Macht sich nicht allzu lange in den gleichen Kreisen konzentrieren konnte.